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Staatliche und gesellschaftliche Gewalt an Frauen – das Beispiel Iran

Nahid Bagheri-Goldschmied
 
Staatliche und gesellschaftliche Gewalt an Frauen – das Beispiel Iran
 
Aus dem Buch „Festhalten am Silberstreifen, Aufrufe wider die Gewalt
Mulieris mundi III“
Helmuth A. Niederle Hg.  Löcker Verlag
 
Der internationale Kontext
 
Die Hälfte der Menschheit besteht aus Frauen. Frauen verschiedener Nationen und Kulturen werden Opfer von Ungleichbehandlungen und Übergriffen in und außerhalb der Familie, in der Gesellschaft, in der Welt. Laut internationaler Statistik sind 15 bis 71 Prozent der Frauen in verschiedenen Teilen der Welt Opfer von Gewalt, wobei der niedrigste Anteil in Japan und der höchste ex aequo in Äthiopien, Peru und Bangladesch gemeldet wird.
 
Der 25. November ist ein Internationaler Tag, um das Bewusstsein von der Existenz der Gewalt gegen Frauen, einer Gewalt, die keine geografischen Grenzen kennt, zu stärken. In vielen Teilen der Welt sind Frauen gezwungen, Gewalt zu akzeptieren. Doch der 25. November ist in den meisten Ländern ein Tag, an dem Regierungen und BürgerInnen-Organisationen Markierungen auf einem Weg zu setzen, der Frauen ein besseres Leben ermöglichen soll.
 
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen definiert „jede Handlung geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu physischen, sexuellen oder psychischen Schäden für Frauen führen kann“, als Gewalt gegen Frauen, einschließlich persönlichem Zwang oder willkürlichem Freiheitsentzug. Gemäß der Deklaration von 1993 zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen kann Gewalt gegen Frauen auch von Mitgliedern des gleichen Geschlechts, Familienmitgliedern oder Regierungen ausgeübt werden.
 
Ein besonderer Aspekt ist die sexuelle Gewalt in der Ehe. Sogar in westlichen Gesellschaften hat es lange gebraucht, bis sie als Verbrechen wahrgenommen und durch entsprechende Gesetzestexte erfasst wurde. In den 1920er-Jahren warnte Bertrand Russell, dass die Einbeziehung wirtschaftlicher Motivation in Sex immer katastrophal sei und postulierte daher, dass emotional „gesunder“ Sex ausschließlich durch das spontane Verlangen beider Parteien erreicht werden kann. Er forderte darüber hinaus, dass dies auch für verheiratete Frauen gelten müsse. Doch das war damals reine Utopie.
Unbestreitbar ist die geschlechtliche Nötigung in der Ehe eine soziale Praxis, in der sexuelles Verlangen, Macht- und Überlegenheitsgefühle – auch solche, die auf ökonomischer Asymmetrie beruhen – sich auf unheilvolle Weise miteinander verbinden. Der Ehemann betrachtet den Geschlechtsverkehr als ein Recht, über das er verfügen kann, wann, wo und wie er will, und er wird dieses „Recht“ auch verteidigen. Erst seit einigen Jahrzehnten wird es ihm abgesprochen, etwa in den meisten europäischen Nationen (in Österreich seit 1989) oder in Kanada und Australien. In diesen Ländern werden sexuelle Handlungen des Mannes ohne Zustimmung der Ehefrau als Vergewaltigung angesehen und bestraft.
 
Ganz anders im Iran …
 
Laut einer im Iran durchgeführten Studie waren 83% der misshandelten Frauen, die an dieser Studie teilnahmen, Hausfrauen, 92% wurden in ihren eigenen vier Wänden missbraucht. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern ist eine der Ursachen für häusliche Gewalt. Für viele Frauen, deren alleinige Einnahmequelle das Geld ist, das sie von ihren Ehemännern erhalten, kann der Beischlaf die einzige Möglichkeit sein weiterzuleben. Wenn aber die Frau sich weigert, die aufgezwungene sexuelle Handlung über sich ergehen zu lassen, wird sie rechtliche und finanzielle Folgen zu tragen haben. De facto wird die Vergewaltigung in der Ehe vom Ehegesetz legitimiert.
 
Das iranische Bildungssystem, wesentlicher Baustein in der Praxis einer frauenfeindlichen islamischen Regierung, spielt nicht nur keine Rolle bei der Beseitigung von Gewalt, sondern beteiligt sich sogar aktiv an der Erhaltung der Gewaltverhältnisse. In Vergangenheit wie Gegenwart der iranischen Gesellschaft und Rechtsordnung ist die Frau ein Geschlecht zweiter Klasse, das im allgemeinen hierarchischen Empfinden zum Wohle des Mannes geschaffen wurde und keine andere Rolle innehat. Solange dieses Bild in der iranischen Gesellschaft – gefestigt in den Familien durch den Ehevertrag – besteht, wird die Frau als Eigentum des Ehemannes betrachtet. Wann immer ein Mann will, erlaubt er es sich, den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau zu vollziehen, auch wenn dieser Wunsch einseitig ist. In diesem erzwungenen Fall ist die Frau immer zum Schweigen und zur Kapitulation verurteilt. Das Gesetz gibt dem Mann das Recht in der Privatsphäre des Schlafzimmers zu tun, was er will. Dazu kommt, dass häusliche Gewalt oft einhergeht mit Faktoren wie Alkoholkonsum, Drogenabhängigkeit, Armut, Arbeitslosigkeit und seelischer Zerrüttung beider Partner.
 
Im islamischen Iran ist die Gewalt gegen Frauen nicht nur im ehelichen Kontext und hinter verschlossenen Türen verbreitet, sondern auch in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Beispielhaft dafür sind Gesetze wie das Verschleierungsgebot (Hijabs) und die meisten Zivilgesetze in Zusammenhang mit Frauenrechten. Beispielsweise das Erbrecht, bei dem die Tochter nur die Hälfte dessen, was ein Sohn erbt, vom Vater bekommt. Im Zivilrecht hat eine Frau nicht einmal ein Recht auf Scheidung, sogar um arbeiten und reisen zu können, braucht sie die Erlaubnis ihres Mannes.
 
In Iran basiert das Gesetz und das Justizsystem auf geschlechtsbezogener Diskriminierung. Frauen haben keinerlei rechtlichen Schutz. In einem Land mit einer extrem hohen Vergewaltigungsrate, am höchsten ist sie in der Hauptstadt Teheran, zeigen Statistiken, dass mindestens 80 Prozent der Opfer von einer Anzeige Abstand nehmen. Dieses Schweigen der Frauen stützt das System. Es ist allerdings leicht nachvollziehbar: Ein Brechen des Schweigens führt vielfach zur Bestrafung des Opfers statt des Täters.
 
Weitere Praktiken der Gewalt gegenüber Frauen in traditionellen islamischen Gesellschaften
 
Zwangsheiraten, Kinderehen und Ehrenmorde sind Praktiken der Gewalt, die leider eines gemein haben: Sie werden in jenen Ländern des Nahen Ostens, deren Justizsystem sich auf den Islam beruft, als traditionelles Recht aufgefasst.
 
Die Zwangsheirat. – Sie ist eine Art der Eheschließung, bei der entweder eine Frau oder ein Mann gezwungen werden, sich zu einer Verbindung zu vereinigen. Diese Art der Ehe ist eine Form von häuslicher und auch sexueller Gewalt. Sie ist keinesfalls eine Manifestation „kultureller oder traditioneller Vielfalt“. Wenn ein junges Mädchen gegen diese Art der Ehe ist, wird es enormem physischem, psychischem oder sozialem Druck ausgesetzt – etwa in Form von Androhungen, emotionaler Erpressung, erniedrigendem Verhalten sowie durch Trennung von Familienbanden. In schweren Fällen reicht die körperliche oder sexuelle Gewaltausübung bis zur Entführung und leiblichen Geiselnahme.
 
Zwangsehen für Kinder. – ​In vielen Ländern des Nahen Osten ist die frühzeitige Ehe noch immer legitim. In den Dörfern dieser Gebiete ist die Heirat von Mädchen unter 15 Jahren weit verbreitet, sie werden trotz eines großen Altersunterschieds mit Männern zwangsverheiratet.
Arme Familien sind gezwungen, auf diese Weise ihre finanziellen Probleme zu bewältigen, sie suchen und finden Männer, die vermögend sind und Abwechslung in ihrem sexuellen Leben wollen. Die Verbreitung von Zwangsehe und Kinderheirat erzeugt in diesen Gesellschaften ein Klima sexueller Gewalt. Diese Gewalt hat verheerende psychische Folgen für die Gesundheit der betroffenen Frauen und Mädchen.
 
Ehrenmorde. – Ehrenverbrechen sind die häufigsten schweren Vergehen in diesen traditionellen Gesellschaften, besonders in der afghanischen. Solche Taten könnte man durch simple Eifersucht erklären, doch sie werden auch und vor allem mit dem Begriff der Ehre oder Rache gerechtfertigt und richten sich zumeist gegen Frauen.
In traditionellen oder patriarchalen Kulturen, wie sie in Afghanistan gegeben sind, in denen die Frau als schwach und irrational gilt, nimmt die Gewalt gegen Frauen einen religiösen Charakter an. Eifersucht, Ehre und entsprechendes gewalttätiges Verhalten stehen sogar unter dem Schutz des Gesetzes, der „Scharia“, und sind somit Vorwand für viele Einschränkungen und Gewaltakte gegen Frauen.
 
Hoffnung
 
Die häusliche wie öffentliche sexuelle Gewalt gegen Frauen ist auf der ganzen Welt ein Verbrechen, bei dem Frauen dazu neigen, sich als Opfer zu schämen und schuldig zu fühlen. Je nach Kulturkreis und Gesellschaftsschicht ist ihre Furcht vor gesellschaftlicher Verurteilung und dementsprechenden Sanktionen ein unterschiedlich starker Reflex. Und in der überwiegenden Zahl der Fälle schweigen die Opfer. Juristische Ahndung und die allgemeine Bewusstmachung von den psychischen Folgen sexueller Gewalt wird dadurch verunmöglicht.
 
Mit der Verringerung der Kluft zwischen traditionellen Gesellschaften und globaler Kultur sowie dank der allmählichen Durchsetzung eines umfassenden Genderbewusstseins gelingt es indes zunehmend, das Schweigen zu beenden. Dies auch im Iran, wo Proteste gegen sexuelle Belästigung Teil einer „friedlichen Frauenrevolution“ geworden sind. Leider sind diese Proteste noch sehr jung, über ihre mittel- bis langfristige Wirkung lässt sich derzeit nur spekulieren.
 
Auf globaler Ebene gibt es jedoch viele Erfolge, beispielsweise die #MeToo-Bewegung mit all ihren Höhen und Tiefen. Viele Nötigungen, viele Sexualgewalttaten wurden ans Licht gebracht, Männer wurden vor Gericht verurteilt, Gesetze gegen sexuelle Belästigung und zur Verteidigung der Opfer wurden verbessert, sogar am Arbeitsplatz und in der Schule wurden strengere Vorschriften im Sinne der Frauen erlassen.
 
Die Durchsetzung des Genderbewusstseins im Kampf gegen Gewalt an Frauen ist überfällig und unverzichtbar. Sie muss in allen Teilen der Welt gelingen.